Bekämpfung von Fluchtursachen muss im Zentrum der Politik stehen
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich am 23. September zu einem Sondergipfel zur aktuellen Flüchtlingskrise getroffen. Dabei haben sie sich auf eine Reihe von Maßnahmen geeinigt, dievor der nächsten Sitzung des Europäischen Rats im Oktober auf den Weg gebracht werden sollen.
So sollen das Welternährungsprogramm der UN (WfP) und andere Organisationen mindestens eine Milliarde Euro zusätzlich von der EU erhalten. Der Türkei, dem Libanon, Jordanien und anderen Ländern soll geholfen werden, die syrische Flüchtlingskrise zu bewältigen. Dazu soll unter anderem der Regionale Treuhandfonds der EU deutlich aufgestockt werden. Um wie viel, bleibt allerdings offen. Die Westbalkan-Staaten sollen Unterstützung bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme bekommen und die Ursachen von Flüchtlingswellen sollen bekämpft werden, unter anderem durch Finanzhilfen an Länder in Afrika.
„Was wir im Moment mit Hunderttausenden Flüchtlingen erleben, die aus Not und Elend zu uns kommen, zeigt: Wir brauchen mehr Entwicklungspolitik auf der Welt, um dort, wo die Menschen keine Perspektiven haben, Perspektiven zu schaffen“, so Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) investiert nach eigenen Angaben bereits mehr als eine Milliarde Euro in direkte Flüchtlingshilfe und mehr als 12 Milliarden Euro bis 2017 in die Bekämpfung von Fluchtursachen weltweit. Deutschland stelle in dieser Legislaturperiode so viele Mittel für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) wie noch nie zuvor bereit.
Anlässlich des Sondertreffens der EU forderte VENRO von der EU die Einrichtung sicherer Fluchtwege und ein neues Verfahren zur Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen. Mittelfristig müsse die Bekämpfung der Fluchtursachen im Zentrum aller Anstrengungen stehen. „Das Umherirren und das Verschieben von Flüchtlingen in Europa zwischen einzelnen Ländern muss ein Ende haben“, sagt Dr. Bernd Bornhorst von VENRO. „Die EU muss sichere Fluchtwege einrichten und sich auf ein neues Verfahren zur Aufnahme der Flüchtlinge einigen.“ Nur dann könnten weiteres Leid und Todesfälle auf den Fluchtrouten nach und durch Europa verhindert werden.
„VENRO begrüßt das humanitäre Signal der Bundesregierung und die unbürokratische Aufnahme von tausenden Flüchtlingen. Wir dürfen aber nicht vergessen: Über 11 Millionen Menschen sind innerhalb Syriens auf der Flucht oder haben sich in die unmittelbaren Nachbarländer geflüchtet“, so Dr. Bornhorst weiter. „Eine Stabilisierung der Nachbarländer Syriens mit direkter humanitärer und finanzieller Unterstützung ist dringend notwendig.“
Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl seit Ende des Zweiten Weltkrieges. „Die Bekämpfung der Fluchtursachen muss mittelfristig im Zentrum aller Anstrengungen stehen“, sagt Dr. Bornhorst. „Entwicklungszusammenarbeit kann dabei eine Rolle spielen. Vor allem aber bedarf es einer fairen globalen Wirtschafts- und Handelspolitik, die Entwicklungsländer nicht länger als Rohstofflager oder Absatzmarkt sieht.“ Auch dem Klimawandel müsse entgegengewirkt werden, ansonsten gebe es in wenigen Jahren Millionen von Klimaflüchtlingen.
„Präventiv müssen endlich Fluchtursachen analysiert und entsprechend in der Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik bekämpft werden“, sagt Dr. Monika Hauser, Geschäftsführerin und Vorstandsmitglied von medica mondiale. Auch sei eine Analyse frauenspezifischer Fluchtursachen dringend nötig. „Es muss endlich erkannt und bekämpft werden, dass der größte Teil aller fliehenden Frauen und Mädchen auf ihrer Flucht erneut sexualisierte Gewalt erlebt. Unerträglich ist, dass sich diese Gewalt gegen Frauen auch in Deutschland fortsetzt. In den völlig überfüllten Flüchtlingsunterkünften sind die oft bereits vielfach traumatisierten Frauen und Mädchen weiterer Gewalt ausgesetzt.“
Zum Nationalen Tag des Flüchtlings am 2. Oktober 2015 warnen Amnesty International und PRO ASYL in einer gemeinsamen Presseerklärung vor weiteren Abschottungsmaßnahmen an den Außengrenzen und innerhalb der EU sowie vor Verschärfungen im Asylrecht. „Jede Form der Abschottung schafft erst recht Probleme und verschiebt diese nur in andere Regionen. Wenn die EU mit anderen Staaten in der Flüchtlingsfrage kooperiert, dann muss das Wohl der Schutzsuchenden und die Einhaltung ihrer Menschenrechte oberste Priorität haben", so Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland.
PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt kritisierte den Versuch, die Türkei zum Türsteher Europas zu machen. Auf Ablehnung bei beiden Organisationen stößt auch der Militäreinsatz im Mittelmeer, an dem sich die Bundeswehr beteiligen soll. "Wenn die Europäische Union Militär gegen Schlepper einsetzt, gefährdet sie die Flüchtlinge. Den verzweifelten Menschen wird der letzte Fluchtweg versperrt", sagt Burkhardt. PRO ASYL und Amnesty fordern sichere und legale Zugangswege für Flüchtlinge in die EU.
Quelle: Projekt "Deine Stimme gegen Armut - Entwicklung braucht Beteiligung"